[infobrief] Fwd: [Presse] Nach 100 Tagen: Bleiberechtsregelung kaum umgesetzt

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Mon Feb 19 15:25:16 CET 2007


Presseerklärung


Arbeitskreis Asyl Göttingen
19.2.2006



Nach 100 Tagen: Bleiberechtsregelung kaum umgesetzt

Niedersachsen setzt auf Ausgrenzung!

Aktionstag für das ganze Bleiberecht

Mit einem bundesweiten Aktionstag wollen Bleiberechtsgruppen am kommenden
Wochenende in 16 Städten gegen die schleppende Umsetzung der
Bleiberechtsregelung protestieren. In Niedersachsen haben bisher lediglich 49
von insgesamt 22.600 Geduldeten ein Bleiberecht erhalten. In Göttingen liegt
die Quote bei unter 0.5%! Für den Donnerstag ruft das Göttinger
„Aktionsbündnis Bleiberecht!“ auf zu einer Demonstration zur
Ausländerbehörde.

„Ab Morgen Früh können langjährig Geduldete ihr Bleiberecht bekommen.“ Dieses
große Versprechen gaben die Innenminister der Länder nach ihrer Konferenz in
Nürnberg am 17.11.06. Sie einigten sich auf eine „Bleiberechtsregelung“ für
die rund 200.000 Menschen, die seit Jahren lediglich mit einer „Duldung“,
d.h. ohne sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland leben müssen.

Am 24. Februar ist die Bleiberechtsregelung seit 100 Tagen in Kraft und die
Zahlen zur Umsetzung zeigen, dass die Regelung die Zustand der „Duldung“
nicht verändert hat. In Göttingen haben bis zum 15. Februar 0,5 % der
geduldeten Flüchtlinge und Migrant_innen ein Bleiberecht erhalten! Von
insgesamt 1301 geduldeten Menschen in Stadt und Landkreis Göttingen bekamen
lediglich 7 ein Bleiberecht. Die Hürden der Verhinderung des Bleiberechts
liegen sowohl in den durch die IMK gesetzten Ausschlusskriterien, wie auch in
den unbestimmten Teilen der Regelung: Viele Passagen der Regelung werden nach
dem Ermessen der Ausländerbehörde der ausgelegt: In Göttingen ist
beispielsweise der gleiche „Sachbearbeiter“ für die Bearbeitung der Anträge
zuständig, der seither für „Aufenthaltsbeendigung“ (Selbstbezeichnung)
zuständig war und ist.

In Niedersachsen haben von insgesamt 22.600 Geduldeten bis Ende Dezember
lediglich 49 Personen ein Bleiberecht erhalten. Wenn Innenminister Schünemann
bei diesen Zahlen der Nichtumsetzung davon spricht, dass „Integration für die
Landesregierung ein zentrales Anliegen sei“, ist dies  Augenwischerei. Ohne
ein gesichertes Bleiberecht bleiben in Niedersachsen weiter tausende Menschen
an den Rand gedrängt: Unter der CDU-Regierung ist es gängige Praxis,
Geduldete in Abschiebelagern, wie in Bramsche, unter zu bringen. Geduldete
unterliegen der Residenzpflicht, haben keinen Anspruch auf Sprachkurse oder
andere sog. Integrationsmaßnahmen. Zudem besteht in Niedersachen noch immer
das Gutscheinsystem, dass für eine Vielzahl geduldeter Menschen die
Auszahlung der Sozialleistungen in speziellen Gutscheinen vorsieht.
Angesichts dieser gezielten Politik der Ausgrenzung ist die Beschwörung der
Integration durch den IM schlichtweg Geschwafel.

In Göttingen und in 15 weiteren Städten werden am kommenden Wochenende
öffentliche Aktionen für das „ganze Bleiberecht“ stattfinden. Die Termine und
Aktionen sind abrufbar auf der folgenden Internetseite:
http://100tage.bleiberechtsbuero.de/

In Göttingen ruft das „Aktionsbündnis Bleiberecht“ auf zu einer Demonstration
zur Ausländerbehörde im Neuen Rathaus. Im Mittelpunkt wird dabei die
Situation geduldeter Migrant_innen und Flüchtlinge aus Göttingen stehen.

Donnerstag, 22.2.,  Beginn um 14 Uhr am Markt / Liesel

Öffentliche Pressekonferenz um 15.30 vor dem Neuen Rathaus

Kontakt: 0176-23294274 und

 www.papiere-fuer-alle.org/bleiberecht












Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung zu Inhalt und Umsetzung der Regelung.
Der Text stammt aus dem Aufruf des „Aktionsbündnis Bleiberecht!“



Geduldet?
Etwa 200.000 Menschen leben in der BRD mit dem Status der Duldung. Werden die
Personen hinzu gezählt, die sich im Abschiebeverfahren befinden, in den
Abschiebeknästen sitzen oder lediglich solche Titel wie
Grenzübertrittsbescheinigungen ausgestellt bekommen haben, dann sind es
insgesamt 360.000 Menschen, die von Behörden als „ausreisepflichtig“ geführt
werden. Die meisten leben seit vielen Jahren in der BRD oder sind hier
geboren. Ihre Abschiebung ist nicht möglich, dennoch gelten sie als
„ausgewiesen“ und unterliegen damit bestimmten Gesetzen, die konkret massive
Entrechtung bedeuten: Sie bekommen Gutscheine und gekürzte Sozialleistungen,
es ist ihnen verboten zu arbeiten oder einen eigenen Wohnsitz zu wählen. Sie
unterliegen der Residenzpflicht und haben keinen Anspruch auf Sprachkurse
oder sog. „Integrationsmaßnahmen“.
In den letzten Jahren haben sich immer häufiger „Geduldete“ gegen diesen
Status zur Wehr gesetzt und damit erreicht, dass es einen breiten Konsens für
eine Bleiberechtsregelung gibt. Die Regelung die am 17.11.2006 von
Innenministerkonferenz (IMK) verabschiedet wurde, steht allerdings weiter in
der Logik der Entrechtung und Abschiebung. Sie ist das „humanitäre
Feigenblatt“, mit dem die massenweise Abschiebung von langjährig geduldeten
Menschen durchgesetzt werden soll. So wird immer wieder behauptet, wer keine
Straftaten begangenen habe, wer bereit sei zu arbeiten, Deutsch spreche und
„integriert“ sei, könne nun ein Bleiberecht erhalten. Die Übrigen könnten
dann mit der geplanten weiteren Verschärfung der sozialen Situation und neuen
Instrumenten der Schikanen und Abschiebungen, aus dem Land getrieben werden.
Was hinter dieser Argumentation steckt, wollen wir an einigen ausgewählten
Punkten der Regelung deutlich machen:

Straftaten
Wer zu insgesamt 50 oder 90 Tagessätzen Strafe verurteilt worden ist, hat
keinen Anspruch auf das Bleiberecht. Für langjährig Geduldete ist es schwer,
nicht nach einem der speziellen Ausländergesetze verurteilt zu werden, z.B.
der Residenzpflicht: Wer seinen zugewiesen Landkreis wiederholt verlassen
hat, hat sich bereits strafbar gemacht. Nicht selten kommt es bei
Polizeikontrollen zudem zu Übergriffen und Verletzungen durch die Beamten. In
der Folge werden die Kontrollierten mit Verfahren wegen Widerstand oder
Körperverletzung überzogen. Auch die Erfüllung der Passpflicht endet für
viele Flüchtlinge mit einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung: Viele
Identitätsnachweise werden von den Behörden als Fälschungen angezeigt.

Passpflicht
Nur mit einem gültigen Nationalpass hat eine Person Anspruch auf das
Bleiberecht. Die Ausländerbehörde in Northeim beispielsweise verlangt, dass
zunächst der Pass abgegeben wird, bevor alle anderen Kriterien der Regelung
geprüft werden. Die Passbeschaffung kann einige Monate dauern. Falls die
Ausländerbehörde dann allerdings nach einem der anderen Kriterien ablehnt,
steht der Abschiebung nichts mehr im Wege. Besonders perfide ist diese Praxis
bei den libanesischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Sie gelten den Behörden als
türkische Staatsangehörige. Nur wenn sie diese türkische Identität annehmen,
wird ihr Antrag bearbeitet. Es liegt auf der Hand, wie sich die Behörden in
Northeim und Göttingen verhalten werden, wenn sie im Besitz der Pässe sind:
Sie schieben ab!

Mitwirkungspflicht
Für Geduldete besteht die Pflicht, an ihrer Abschiebung mitzuwirken. Haben
 sie diese Pflicht bisher nicht erfüllt, kann ihnen das Bleiberecht versagt
 werden. Wenn also nun ein Pass vorgelegt wird, wie es die Ausländerbehörde
 verlangt, kann dies von der Behörde als „Nichterfüllen der
Mitwirkungspflicht“ ausgelegt werden (weil der Pass schon früher hätte
vorgelegt werden können). Diese Auslegung liegt im Ermessen der Behörden. Die
Mitwirkungspfllicht kann schon dann als „nicht erfüllt“ angesehen werden,
wenn beispielsweise gegen eine drohende Abschiebung erfolgreich Rechtsmittel
eingelegt worden sind.

Arbeit
Es kommt bei der Regelung nicht allein darauf an, ob jemand arbeitet.
Ausschlaggebend ist die Höhe des Lohns. Für eine Familie mit vier Kindern,
müsste der Betrag der nach Abzug von Miete und Nebenkosten übrig bleibt z.B.
bei ca. 1600 Euro liegen. Dass es für Menschen, die seit Jahren unter einem
Arbeitsverbot hier leben, deren Ausbildung oftmals nicht anerkannt wird und
denen zudem durch die Schikanen der Behörden und den Abschiebedruck massiv
zugesetzt worden ist, nahezu unmöglich sein wird, eine entsprechende Arbeit
zu finden, liegt auf der Hand. Arbeitsunfähige oder Menschen im Rentenalter
haben nur dann Anspruch auf das Bleiberecht, wenn von dritter Seite für ihren
Unterhalt und die medizinische Versorgung und Pflege gesorgt wird. Das
Bleiberecht wird zudem nur für die Dauer des Arbeitsvertrages gewährt und
alle zwei Jahre neu überprüft: Sinkt der Lohn, steigt die Miete oder kommt
ein Kind hinzu, kann das die Abschiebung bedeuten.

Viele weitere Kriterien und Ermessensspielräume der Behörden machen die
Regelung zu einem Risiko für die Betroffenen und an der Unsicherheit des
Aufenthalts ändert sich nichts. Zugelassen zur Reglung wird nur, wer zunächst
alle Asyl- und verwaltungsrechtlichen Verfahren die auf einen Aufenthalt
ausgerichtet sind, abbricht und  zurück nimmt. Also, erst wenn alle
Hindernisse gegen die Abschiebung ausgeräumt sind, wird der Antrag
bearbeitet. Und dann liegt es im Ermessen der Abschiebebeamten, ob das
Bleiberecht gewährt wird!

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